Tinder Fails
Zwangsläufig höre ich bei einem Gespräch mit. Zwischen zwei Typen. Er hat eine neue Bekanntschaft. Über Tinder kennengelernt, versteht sich. Es ist nicht zu überhören, wie stolz er auf neustes Match ist.„Ey, ich fand die schon immer so geil, alter schau mal ihren Booty an!“
Ja, das war der Zeitpunkt, an dem ich wusste, auf welches Niveau wir uns gleich begeben werden. Und das war übrigens auch der Zeitpunkt, wo ich wusste, dass sich mein Bild vom heutzutägigen Dating bestätigen wird.
Er will angeben. Fragt seinen Bro aus, wie er sie findet. Er solle mal ihr Insta Profil abchecken. Und dann geht das Gerede los.
„hä, ist die nicht mehr mit XY zusammen?“ „Nee, das war voll die On-Off-Beziehung, schon tausendmal getrennt, aber jetzt endgültig. Die wird sowas von geknallt.“ „Haja man, krass, das ging ja aber schon übelst lange mit dem Lappen, fast ein Jahr!“ „Achne, übel man.“
Ein Jahr, denke ich mir. Traurig, dass in unserer Generation ein Jahr als langer Zeitraum für eine Beziehung – halt, ich korrigiere – On-Off-Beziehung betitelt wird. Traurig, dass wir uns immer wieder sofort trennen müssen, wenn es mal schwierig wird, denke ich mir weiter. Wenn die hören würden, wie lange meine letzte Beziehung ging, würden die…
Halt. Stopp. Wovon reden die Typen da eigentlich?
Beziehung? Nein, danke.
Beziehung. Ups stimmt, ich hätte es fast vergessen. Wie konnte ich nur? Denn das ist ein Wort, dass man heutzutage nicht mehr aussprechen mag. Man eher mit Freiheitsberaubung und unerträglichen Verpflichtungen verbindet. Etwas, dass man nicht haben will. Ja, die Tinder-Generation macht es uns vor und wir machen es ihr nach. Oder etwa andersrum? Wir knüpfen kurzlebige Kontakte, die uns für einen kleinen Moment ein befriedigendes Gefühl vermitteln. Eine ernsthafte Beziehung? Hell no, please!Klar, warum denn auch? Wir haben doch eine unendliche Auswahl. Immer auf der Suche nach dem Besten für uns selbst. Sind frei. Ungebunden. Jederzeit für jeden Spaß und vor allem für jeden Scheiß mit jedem zu haben. Wir, die Generation „Tinder, statt Kinder“. Die Generation, die verlernt hat, sich zu entscheiden und festzulegen. Die gleichzeitig stolz darauf ist, daraus auch noch eine Tugend gemacht zu haben. Panik bekommt, wenn man schon seit drei Wochen regelmäßig die gleiche Person trifft, nebeneinander im Arm liegt, gemeinsam beim Lieferservice Pizza bestellt und dabei eine Serie anschaut. Bloß nicht eingestehen, dass man die Person irgendwie doch ganz schön mag. Denn das kommt grenzwertig nah an diesen gefährlich verbindlichen Zustand, der einem extrem die Luft zum Atmen nehmen kann. Ghosting ist angesagt. Keine Nachrichten mehr von Sam. Nein, sich lieber nicht mehr bei dieser Person melden. Sicher ist sicher. Denn nicht zu atmen ist ja auch gesundheitsschädlich. Pizza auf langfristiger Sicht übrigens auch.
Also lieber von Affäre zu Affäre hangeln. Sich einreden, das wäre so schön unkompliziert.
Wie war das? Affäre sagt man gar nicht mehr, das ist zu altmodisch?
Stimmt, klingt zu sehr nach dem Seitensprung in einer Ehe. So spießig sind wir ja nicht. So etwas wollen wir ja auch nicht. Ehe – um Gottes Willen nein. Wir führen jetzt lieber eine Freundschaft Plus. Sind Freunde mit gewissen Vorzügen. Mingels. Äh, bitte was für ein Ding?
Kuschelware vom Umtausch ausgeschlossen.
Wir haben also lieber so genannte Nicht-Beziehungen. Unterbeziehungen. Etwas, das kein „Wir“ definiert. Keine Verantwortung bedeutet. Etwas, das vollkommen und zu jeder Zeit beliebig austauschbar ist. Wenn es mal nicht gut läuft oder eine Macke entdeckt wird, holt man sich eben jemand neues an seine Seite. Ist doch einfach. Viel entspannter.Kuscheln während die gemeinsame Serie läuft? Nein quatsch, das machen wir nicht. Das ist tot much Klingt auch mehr nach Jogginghose als nach heißen Dessous und Spaß. Und das ist nicht attraktiv genug. Nichts womit man bei seinen Freunden angeben möchte. Das könnte man ja mit Emotionen in Verbindung bringen. Das ist zu viel „weiche Seite“ zeigen.
Also lieber etwas haben, das man leicht austauschen kann. Das funktioniert beim Kuschelpartner ja nicht so einfach. Weil da jemand ist, dem man emotional näher kommen muss. Weil jemand ist, mit dem sich Vertrauen und Geborgenheit aufbaut. Nein, das kann man nicht so leicht ersetzen.
Lieber jemanden haben, den man so gefühlskalt austauschen kann wie die Zahnbürste nach ein paar Wochen. Ja, das ist ein erstrebenswerter Zustand. Genauso intim darf es sein. Muss es sein! In diesem Fall ist weniger nämlich mehr.
Die diversen Dating-Apps helfen uns dabei, bequem eine Nummer zu finden. Kann man sogar vom Klo aus machen. Spart Zeit. Klasse, oder?
Super wird es aber erst dann, wenn beide Dating-Partner möglichst gleiche Interessen haben. Dann kann man sich vor und nach dem Spaß zu Zweit noch kurz unterhalten. So tun, als wäre man nicht der größte Vollidiot, der man in Wirklichkeit ist. Nicht der größte Angsthase. Einfach so tun, als wäre man eben nicht dieses emotionales Wrack. Als wäre man der beste Lügner für den der Himmel schon gar keine Farbe mehr hat. Weil man sich das viele Blau schon selbst in die Tasche gelogen hat.
Wir lügen uns nämlich an. Das Schlimme daran? Dass es den meisten von uns erst gar nicht auffällt.
Nie wieder.
Weil wir es fühlen. Und zwar alle. Diesen Funken, wenn er oder sie die Türe aufmacht. Das Strahlen in den Augen, wenn unser Gegenüber uns anlächelt. Diesen ersten Kuss des Abends. Da gegenseitige Berühren. Erzählen von Geschichten aus unseren bisherigen Leben. Über die Freunde und Familie. Über unsere Träume und Sorgen. All das ist nämlich nichts banales. Nichts austauschbares.Schöner, als die schönste Zahnbürste, die du bisher im Regal bei Rossmann gesehen hast. Ja, auch schöner wie die Limited Einhorn Edition.
Wenn es passt und sich schön anfühlt, dann wollen wir es tief im Inneren alle festhalten. Alle! Wir wollen, dass es so bleibt, wie es genau in solchen Momenten zu spüren ist. Weil wir das genießen. Brauchen. Die Zeit wird irgendwie kurz angehalten. Zumindest so lange, bis wir wieder diese Angst bekommen. Nein, Panik trifft es besser.
Und dann machen wir es kaputt. Zuerst den Moment, dann das Ganze außenrum. Es fängt nämlich an, weh zu tun. Ein kleines bisschen zumindest. Weil wir erinnert werden. An diese ein Wunde, die uns geprägt hat. An diesen existenziell bedrohlichen Schmerz, den man so harmlos Liebeskummer nennt.
Weil wir genau das nie wieder in unserem Leben spüren möchten.
Wir wollen nie wieder der Liebe wegen leiden!
Wir wollen nie wieder, dass unser Herz gebrochen wird. Weil das eine Mal uns einfach so unglaublich zerstört hat.
Die Liebe und die Angst
Also fangen wir an, uns den Moment und das Gefühl kaputt zu denken. Haben Angst, dass es eben nicht so schön weitergeht und doch nicht funktionert. Weil wir damit Erfahrungen gemacht haben. Keine guten versteht sich. Haben also Angst davor, Gefühle zu entwickeln, die der andere nicht erwidern könnte. Haben Angst davor, verletzt und enttäuscht zu werden. Uns jemanden zu öffnen und mit voller Brandweite wieder auf die Schnauze zu fallen. Wir füttern also die Liebe mit unserer ach so tragischen Angst.
"Wenn ich niemanden an mich ran lasse, gebe ich auch niemanden die Chance mir weh zu tun." |
Wir bauen also eine Mauer auf, um uns selbst zu schützen. Bis zu einem gewissen Grad ist das nicht einmal etwas Verwerfliches. Zumindest so lange nicht, wenn wir gleichzeitig auch in der Lage sind, jemanden hereinzulassen, der versucht, über unsere Mauer zu klettern.
Sehen wir der Realität ins Auge. Die Chance auf die Liebe wird niemals gleichzeitig eine wirkliche Garantie sein. Selbst die Ehe nach über 30 Jahren kann dir nicht diese Sicherheit geben.
Die Liebe und die Unverbindlichkeit
Wir sind alle mit der Vorstellung groß geworden, eine Familie sei erstrebenswert, oder? Eine glückliche Beziehung, in der man sich morgens mit einem Kuss auf die Stirn „ich liebe dich“ sagt und dies auch genauso meint. Vor dem Traualtar stehen. Haus bauen; Kinder kriegen.
Und was machen wir? Wollen uns nicht mal mehr auf den gemeinsamen Kaffee treffen. Uns nicht mehr besser kennenlernen, weil wir so schnell genervt davon sind, tausendmal zu erzählen was wir beruflich machen, welche Musik wir gerne hören oder was für kreative Hobbies wir haben. Bringt nichts, befriedigt nicht. Da sieht es bei Tinder schon ganz anders aus. Kommen schneller zu unserem Höhepunkt. Da geht es gleich tiefer zur Sache. Kein ernsthaftes Kennenlernen. Kein Verletzen.
Können wir mal bitte aufwachen? Sind wir wirklich schon so weit, dass unsere Angst davor, sich zu verlieben oder auf Zurückweisung zu stoßen größer ist die Peinlichkeit, dass unsere Whatsapp Kontakte inzwischen „Dennis Tinder“ oder „Lisa Lovoo“ heißen? Das ist doch bescheuert. Sowas von dermaßen bescheuert, dass ich an dieser Stelle einen halben Roman darüber schreiben könnte, wie traurig und erschreckend zugleich ich das finde!
Ja, Unverbindlichkeit ist bequem. Was wir aber nicht vergessen sollten?
Menschen sind keine Produkte, die bald in einer besseren Version erhältlich sind. Auch wenn die Reizüberflutung heutzutage ein anderes Bild vermitteln mag, so leicht wird das nicht funktionieren.
Wir müssen uns endlich mehr lösen. Von diesem Gedanken. Dass Beziehungen das Ende sind. Und von der Angst, Erwartungen erfüllen zu müssen, denen man nicht gerecht werden kann. Davor, dass man so, wie man wirklich ist, nicht geliebt werden kann. Wir müssen endlich damit anfangen, uns wieder verletzbarer zu machen. Uns verletzbarer zu zeigen. Bei der Liebe öfters All-In zu gehen. Lernen, der Liebe Chancen zu geben. Unsere Ängste vor Bindungen und Enttäuschungen zu überwinden. Weil es mehr zu gewinnen als zu verlieren gibt. Glaube mir, das gibt es am Ende nämlich wirklich.
Bedingungslos.
Die Liebe ist bedingungslos.
Wer denkt, in Beziehungen nicht authentisch sein zu können und sich nicht traut, sich selbst zu sein, der wird sich immer verlieren. Nicht nur sich selbst, sondern eben auch genau diese Gefühl von Freiheit. Das ist es, warum sich so viele eingeengt fühlen. Warum so viele ausbrechen und sich zurückziehen. Das hat nichts mit der Beziehung oder dem Partner an sich zu tun. Das hat etwas mit dir ganz allein zu tun!
Wenn du dich von einer Person abhängig machst, dann kannst du nicht bei dir sein. Fängst an, dich zu vernachlässigen. Das ist der Grund, warum du früher oder später auch fallen wirst. Wenn wir allerdings lernen, unseren eigenen Wert zu definieren, uns selbst zu lieben und endlich anfangen zu verstehen, dass wir unser Glück niemals von einer anderen Person abhängig machen können, erst dann kann sich diese Angst vor Bindung auflösen. Die Angst davor, etwas aufgeben zu müssen. Und die Angst, sich verstellen zu müssen. Nicht gut genug zu sein. Zu verletzen oder verletzt zu werden.
Gehen und bleiben
„Bleiben“ bedeutet Verbindlichkeit. „Bleiben“ bedeutet miteinander zu reden. Und sich für jemanden zu interessieren bedeutet auch, sich dem anderen zu öffnen.
Also lieber sich wieder aus der Türe schleppen. Nicht über Nacht bleiben. Schon dreimal nicht zum Frühstück. Gehen ohne ein Wort über den Abend fallen zu lassen. Die Türe hinter sich zu ziehen und keine Nachricht zu hinterlassen, wenn man gut daheim angekommen ist.
Wir gehen also in der Hoffnung, unser Herz nicht zu verlieren. An eine Person, bei der wir uns gerade so unglaublich wohl gefühlt haben. An eine Person, die uns zu gefährlich ist. Weil da viel Potenzial ist. Für die ganzen Gefühle. Für die wunderschönen und für die schmerzhaften.
Aber worauf warten wir? Dass wir uns irgendwann mit Mitte Dreißig oder Vierzig erwachsen und emotional stabil genug fühlen mit Enttäuschungen umzugehen? Werden wir es denn jemals sein? Vielleicht gehört das einfach dazu. Zu diesem Verlieben, meine ich. Wir sollten nicht irgendwann das Gefühl haben, etwas verpasst zu haben. Wir sollten auch nicht irgendwann bereuen uns nicht gefühlsmäßig eingelassen zu haben, als der oder die richtige Person da war.
Wenn wir ewig auf den richtigen Zeitpunkt für die Liebe und Beziehung warten, kann es dann nicht passieren, dass wir diesen Moment verpassen werden? Du weißt schon, weil uns die Liebe meistens dann erwischt, wenn wir sie am wenigsten erwarten…